Symbolische Werte und die Governance von Institutionen

Kurzzusammenfassung

 

In Märkten, Unternehmen und Staat verfolgen die Entscheidungsträger nicht nur materielle Ziele. Ihnen ist es auch wichtig, dass ihr Verhalten mit verinnerlichten Werten und sozialen Erwartungen übereinstimmt. Diese nicht-pekuniären Motive prägen das Verhalten der Einzelnen und die Leistung von Organisationen entscheidend mit. Ihnen zugrunde liegen Wertvorstellungen, die sich nach Ansicht von Sozialpsychologen und Politikwissenschaftlern in den letzten Jahrzehnten beträchtlich verändert haben, z. B. im Sinne eines geringeren Respekts vor formaler Autorität und eines stärkeren Individualismus. In welchem Verhältnis steht der durch empirische Untersuchungen dokumentierte Wertewandel zu grundlegenden ökonomischen Entwicklungen in Märkten, Unternehmen und staatlichen Organisationen? Dieser breiten Fragestellung soll sich dieses Teilprojekt zuwenden und davon spezifische Aspekte genauer untersuchen.

Der in diesem Teilprojekt behandelte Themenbereich liegt an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und benachbarten Sozialwissenschaften; methodisch ruht er allerdings auf der Entwicklung formaltheoretischer Modelle, wie sie in der Ökonomie üblich sind. Sein analytischer Rahmen kann leicht zusammengefasst werden. Gelingt es einem Entscheidungsträger, in Einklang mit seinen Werten zu handeln, so fördert dies seine Selbstachtung. Gelingt es ihm, in Einklang mit den Werten relevanter anderer zu handeln, so fördert dies seine soziale Anerkennung. Selbstachtung und soziale Anerkennung werden als nicht-markfähige Güter betrachtet, die knapp im ökonomischen Sinn sind und deren Allokation mit den Instrumenten der ökonomischen Theorie analysiert werden kann. Bei der Abwägung alternativer Handlungsoptionen berücksichtigen die Akteure nicht nur die materiellen, insbesondere pekuniären, Implikationen der einzelnen Optionen, sondern auch ihre Auswirkung auf Selbstachtung und soziale Anerkennung. Die Anreize, die aus dem Streben nach Selbstachtung und sozialer Anerkennung resultieren, erfüllen eine wichtige Steuerungsfunktion in Entscheidungssituationen, in denen die beteiligten Parteien aufgrund asymmetrischer Information und divergierenden Interessen nicht in der Lage sind, potentielle Effizienzgewinne auszuschöpfen. Streben nach Selbstachtung und sozialer Anerkennung kann beispielsweise Probleme des moralischen Risikos und das „Hold-up Problem“ entschärfen, wenn opportunistisches Verhalten aufgrund verinnerlichter Werte einen Verlust an Selbstachtung verursacht. Ohne ein Mindestmaß an sittlicher Gesinnung können Märkte, Unternehmen und Staaten kaum funktionieren. Gleichwohl können verinnerlichte Werte auch zu mehr Konflikt und zu einem Rückgang materiellen Wohlstands führen, wenn sie z. B. die Verherrlichung einer Rasse, Religion oder Nation gegenüber anderen hervorrufen. Ein  Urteil über die soziale Vorteilhaftigkeit eines bestimmten Systems von Werten ist oftmals kontext-abhängig.

Grundsätzlich entspringt Achtung einem Handeln in Eintracht mit den Werten, welche die Individuen verinnerlicht haben. Anhand dieser Werte erfolgt eine Beurteilung von sich selbst und anderen, woraus Selbstachtung und soziale Anerkennung resultieren. Werte, die für die Allokation von Achtung maßgeblich sind, werden symbolische Werte genannt. So können Individuen nach einem höheren Einkommen streben, nicht nur um ihre Kaufkraft zu vermehren, sondern auch weil ein höheres Einkommen ihr Selbstbewusstsein stärkt und ihnen ein größeres Ansehen in der Gesellschaft verschafft. In diesem Sinne wird das persönliche Einkommen mit einem symbolischen Wert belegt. Ähnliches kann für andere persönliche Attribute wie z. B. Aufrichtigkeit, Fleiß und Religionszugehörigkeit auch gelten. Eine kohärente Struktur von symbolischen Werten wird als Wertesystem bezeichnet. Wertesysteme sind individuell und können sich über den Lebenszyklus eines Individuums ändern.

Das Teilprojekt befasst sich mit der Definition symbolischer Werte, ihrer Entstehung und Dynamik sowie ihrem Einfluss auf die Leistung von Organisationen und Märkten. Die Entstehung von Wertesystemen wird in einem Rahmen untersucht, in dem Wertesysteme und Institutionen sich gegenseitig bedingen. Zum einen können Wertesysteme die Anreizverträglichkeitsbedingungen ökonomischer Entscheidungssituationen grundlegend verändern. Zum anderen versuchen verschiedene Akteure einen Einfluss auf die Bildung und Aufrechterhaltung von Werten auszuüben. Ähnlich wie Preise, die innerhalb unterschiedlicher Marktstrukturen entstehen, können symbolische Werte durch unterschiedliche Sozialisierungsstrukturen geprägt werden, in denen die „Wettbewerber“ mit unterschiedlicher „Marktmacht“ ausgestattet sind.

Das Ziel dieses Teilprojekts besteht darin, Wechselbeziehungen zwischen Wertewandel und wirtschaftlichem Strukturwandel aus theoretischer und empirischer Perspektive zu identifizieren und zu erläutern. Auf der einen Seite interessiert uns die Dynamik von Wertvorstellungen, die für das Verständnis von ökonomischen Verhalten potentiell wichtig sind. Ein besonderes Augenmerk wird daher auf den Wert gelegt werden, den Menschen Attributen wie Ehrlichkeit, Professionalität, Gehorsamkeit und persönlichem Einkommen beimessen. Auf der anderen Seite wollen wir den Wertewandel in Relation zu bestimmten Formen des wirtschaftlichen Wandels setzen. Zum einen soll das Teilprojekt sich der Beziehung zwischen Werten, ökonomischer Ungleichheit und Wohlfahrtsstaat widmen. Verstärken zunehmende Einkommensdisparitäten das Arbeitsethos oder fördern sie eher eine opportunistische Mentalität? Welche Auswirkungen hat der Wohlfahrtsstaat auf die Wertvorstellungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen wie z. B. Männer und Frauen, Niedrigqualifizierte und Hochqualifizierte, Einheimische und Einwanderer? Zum anderen wollen wir die Interaktion zwischen dem Wandel in der Struktur der Arbeitsverhältnisse und der Corporate Governance in Unternehmen und den Wertewandel in der Gesellschaft untersuchen. Wie modifizieren sie die Anreize der Eltern, in Arbeitsethos und Ehrlichkeit der eigenen Kinder zu investieren? Wie passen die Unternehmen ihre interne Anreizstruktur auf die sich ändernden Wertesysteme ihrer Beschäftigten an?

Prof. Dr. Giacomo Corneo

Freie Universität Berlin
Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
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